Zum Tag der Straßenkinder 2020 schauen wir nach Sierra Leone: In der Hauptstadt Freetown leben tausende Kinder auf der Straße. Die Jugend Eine Welt-Projektpartner von Don Bosco Fambul kämpfen dafür, dass diese Kinder eine Zukunft bekommen. Ihre Gegner heißen Menschenhandel, Prostitution und Armut.
In einem einfachen Raum sitzen rund 15 Buben an Tischreihen und gucken nach vorne auf eine Tafel. Einige sind hellwach, haben Bleistift und Heft gezückt. Andere haben den Kopf in die Hände gelegt und scheinen die Pause herbeizusehen. Ganz hinten piksen zwei einander in die Seiten und kichern. Es ist eine Szene, wie sie in jeder österreichischen Schulklasse spielen könnte, aber wir sind in Freetown, der Hauptstadt von Sierra Leone. Genauer gesagt: in einer Schulstunde bei Don Bosco Fambul.
„Fambul“, das ist Kreol und heißt „Familie“. Für die Kinder und Jugendlichen sind die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Don Bosco Zentrums in Freetown genau das. Viele der Kinder haben durch die Ebola-Epidemie ihre Eltern verloren. Andere sind vor Missbrauch und Gewalt in ihren Familien geflohen. Nicht wenige wurden schon in jungen Jahren als Arbeitssklaven verkauft und sind ihren „Besitzern“ entkommen. So unterschiedlich die Geschichten der Kinder auch sind, sie enden alle an einem Ort: Den Straßen der Elendsviertel von Freetown.

Hier sind die Häuser Hütten aus rostigem Wellblech. Die Dächer werden mit Plastikplanen abgedeckt und durch alte Autoreifen beschwert. Es gibt kaum befestigte Straßen, dafür unzählige lehmige Trampelpfade zwischen den Hütten hindurch und Hunderte streunende Hunde. Überall auf den Wegen liegt Müll. Auch das Ufer des angrenzenden Atlantiks ist stellenweise völlig verdreckt. Keine der Hütten hat fließend Wasser, Strom oder sanitäre Anlagen. Wer sich hier als Kind alleine durchschlagen muss, der kämpft täglich ums Überleben.
Kinder auf der Straße
„Die Straße bedeutet Gewalt, Gesetzlosigkeit, Alkohol, Drogenmissbrauch, sexuelle Übergriffe. Die Straße ist kein Ort für ein Kind“, weiß Jorge Crisafulli. Der engagierte Salesianerpater ist der Leiter von Don Bosco Fambul und in den Slums der Hauptstadt bei allen Menschen bekannt und beliebt. Abends durchstreift er gemeinsam mit seinen Street Workern die Straßen der Armenviertel und spricht mit obdachlosen Kindern, bietet ihnen Hilfe an und lädt sie ein, die Nacht im Don Bosco Zentrum zu verbringen. Manchmal fährt das Team auch mit dem eigenen „Don Bosco Mobil“, einem umgebauten Linienbus, durch die Stadt, verteilt Medikamente an kranke Kinder und Jugendliche und nimmt jene auf, die nirgendwo hinkönnen.
Die Straße bedeutet Gewalt, Gesetzlosigkeit, Alkohol, Drogenmissbrauch, sexuelle Übergriffe. Die Straße ist kein Ort für ein Kind.
Nicht jedes Kind möchte auf Anhieb mit. Bei Don Bosco Fambul gibt es Regeln, eine feste Tagesstruktur, das ist für viele, die bereits Jahre auf der Straße zugebracht haben, erst einmal schwer. Crisafulli erzählt von einer Jugendlichen, Aminata, die er nach langem Zureden überzeugen konnte, ins Mädchenschutzhaus zu kommen. „Und wie lange hat sie es ausgehalten?“, fragt der Pater mit einem Schmunzeln, „einen Tag!“. In solchen Fällen bleibt das Team von Don Bosco Fambul dran, lädt die Kinder immer wieder aufs Neue ein. In Aminatas Fall ging die Geschichte gut aus. Sie kam doch noch zu Don Bosco, machte dort eine Lehre zur Friseurin und zog schließlich zu ihrer Großmutter aufs Land, wo sie heute ihr eigenes Geld verdient.
Chancen für Mädchen
Gerade Mädchen sind auf Freetowns Straßen besonders gefährdet und häufig sexueller Ausbeutung ausgesetzt. Ein großer Teil des Hilfsangebots bei Don Bosco Fambul richtet sich daher speziell an sie. „Der einzige Weg für ein Mädchen, das auf der Straße zur Welt kam und auf der Straße arbeitet, Geld zu verdienen und eine Schule zu besuchen, Lebensmittel, Bücher und Hefte zu kaufen, ist tatsächlich nur die Prostitution“, erklärt Pater Crisafulli. Ohne Bildung, haben diese Mädchen keine andere Möglichkeit, um an Geld zu kommen und ohne Geld, haben sie keine Möglichkeit, an Bildung zu kommen. Sie sind gefangen in einem Teufelskreis.
Zwei Euro pro Freier verdienen die Minderjährigen. Ein Fakt wie ein Schlag in die Magengrube. Viele der Mädchen werden jung Schwanger, weil die Männer sich weigern, Kondome zu verwenden. Fügen sie sich den Wünschen der Freier nicht, verdient eben eine andere das überlebenswichtige Geld. Die fehlende Verhütung macht auch Krankheiten zu einem großen Problem. In Sierra Leone gibt es kein funktionierendes Gesundheitswesen. Wer zum Arzt geht, muss jede Behandlung bar bezahlen. Ohne Geld, werden die Kinder und Jugendlichen wieder vor die Tür gesetzt. Um diesen Straßenmädchen in Freetown zu helfen, gibt es bei Don Bosco Fambul ein Wohnheim und ein gut ausgebautes Ausbildungsprogramm für ehemalige Kinderprostituierte. Dort werden sie medizinisch versorgt, psychologisch betreut und intensiv in ein selbstbestimmtes Leben begleitet. Sie können einen Schulabschluss und eine Lehre machen und sich so eine Zukunft abseits von Armut und Ausbeutung aufbauen.
Bildung – die stärkste Waffe
Bildung ist die Stärkste Waffe im Kampf gegen Armut und Kinderausbeutung – das ist die Überzeugung, nach der man bei Don Bosco Fambul handelt. Heute zählt das Zentrum zu den wichtigsten Ausbildungsstätten für ausgegrenzte Kinder und Jugendliche in Sierra Leone. Über 100 Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen kümmern sich unter anderem um die Bildung von rund 2000 Kindern und Jugendlichen. Neben den erwähnten Berufslehren gibt es auch Grundschulklassen. Oft betreut das Team die Kinder durch die gesamte Schullaufbahn hindurch und unterstützt sie auch danach noch bei der Jobsuche.
Niemand ist je verloren, solange es Leben gibt und die Fähigkeit, zu träumen
Erfolgsbeispiele, wie das der jungen Aminata gibt es bei Don Bosco Fambul viele. Pater Crisafulli weiß aus Erfahrung: „Ein Zuhause finden, Essen finden, eine Schule, eine Berufsausbildung – das ist der einzige Weg, dieser Sklaverei zu entkommen.“ Tausenden Straßenjungen und Mädchen konnte das Fambul-Team so schon auf die Beine helfen. Dabei schlägt Crisafulli seinen Schützlingen bewusst große Ziele vor; fragt, ob sie nicht etwa studieren wollen. „Für mich besteht der Schlüssel, diesen Jungen und Mädchen eine Zukunft und Hoffnung zu geben, darin, sie zum Träumen zu bringen.“, so der Salesianer, „niemand ist je verloren, solange es Leben gibt und die Fähigkeit, zu träumen“.
Die schockierenden Lebensgeschichten der Kinder, die menschlichen Abgründe, in die Pater Crisafulli täglich blickt – sie deprimieren ihn nach eigener Aussage nicht. Im Gegenteil: „Je mehr Ungerechtigkeit ich sehe, desto mehr lodert es in mir“, zeigt sich der Ordensmann entschlossen. Und so werden sie auch morgen und übermorgen wieder losziehen und die Armenviertel Freetowns nach verlassenen Kindern durchkämmen; werden die Jungen und Mädchen ermutigen, bei Don Bosco Fambul Hilfe anzunehmen und wieder Vertrauen zu fassen – in die Menschen und sich selbst.
Sie können Don Bosco Fambul auch direkt mit einer Spende unterstützen:
Spendenkonto Jugend Eine Welt
Raiffeisen Landesbank Tirol
IBAN: AT66 3600 0000 0002 4000
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