„Die Lage ist dramatisch. Es gibt in Tigray ein schweres Nahrungsmittelproblem. In den ländlichen Gebieten verhungern Kinder und ältere Menschen“, berichtet Wolfgang Wedan, Globaler Nothilfekoordinator von Jugend Eine Welt, nach seiner Rückkehr aus Äthiopien. Der erfahrene Katastrophenhelfer reiste vor wenigen Tagen in die Tigray-Region, um vor Ort konkrete Hilfsmaßnahmen für die vom mittlerweile beendeten Bürgerkrieg stark traumatisierte und notleidende Bevölkerung einzuleiten.
Katastrophale Lage für Binnenvertriebene
Wedan besuchte auf seiner Reise die kleineren Städte Shire, Adwa und Adigrat im Norden sowie Mekele, die Hauptstadt der Tigray-Region. Darüber hinaus machte sich der Globale Nothilfekoordinator von Jugend Eine Welt ein Bild von den acht Camps für Binnenvertriebe. Denn mehr als eine Million Menschen können nach UN-Angaben nicht an ihren ursprünglichen Heimatort zurückkehren. Aktuell sind sie in ehemaligen Schulen, Kasernen und Fabriken sowie in provisorischen Flüchtlings-Camps untergebracht. „Durchschnittlich finden in jedem Camp zwischen 40.000 bis 50.000 Menschen Zuflucht. Die räumlichen und hygienischen Verhältnisse sind katastrophal. Um ein wenig Privatsphäre zu haben, werden Plastikplanen aufgehängt. Die Geflüchteten müssen auf engstem Raum leben. Väter, Mütter und Kinder schlafen teilweise auf dem Boden“, erzählt Wedan. „In einem der Flüchtlingslager hat es auf dem gesamten Gelände nur zwei Toiletten gegeben. Es bilden sich lange Schlangen. Jeder kann sich ausmalen, wie die hygienischen Zustände in und rund um das Camp sind“, so der Steirer weiter.
Bevölkerung nach Krieg traumatisiert
Laut Schätzungen starben während des zweijährigen Tigray-Konflikts rund 700.000 Menschen. Zur Einordnung: Vor dem Bürgerkrieg zählte die Tigray-Region sieben Millionen EinwohnerInnen. „Viele Leute, mit denen ich vor Ort gesprochen haben, reden offen von einem Genozid“, erzählt Wedan. So sollen die eritreischen Streitkräfte, die gemeinsam mit der Armee von Äthiopiens Regierung gegen die Volksbefreiungsfront von Tigray (TPLF) kämpften, in einer großen Textilfabrik in der Nähe von Adwa rund 800 Jugendliche zusammengetrieben haben. „Zuerst mussten sie die ganze Halle für die Streitkräfte ausräumen, danach wurden sie alle erschossen“, gibt Wedan den Inhalt eines Gesprächs mit Tesfaselassie Medhin, Bischof von Adigrat, wieder. Darüber hinaus fanden nachweislich während des Bürgerkriegs Massenvergewaltigungen und Folter statt. „Wenn du in die Augen von älteren Menschen schaust, dann siehst du meist nur absolute Leere. Die Bevölkerung ist traumatisiert. Kranke und Kriegsversehrte verlassen ihre Häuser nicht mehr, weil sie sich schämen. Es braucht dringend Hilfe. Nicht nur kurzfristig bei der Nahrungsmittel- und medizinischen Versorgung, sondern auch längerfristig bei den Themen sauberes Trinkwasser sowie Strom. Ein weiterer großer Punkt ist der Schulbetrieb. In den Schulen wird mittlerweile wieder unterrichtet. Doch die Kinder haben keine Hefte, keine Stifte, um sich im Unterricht Notizen zu machen und so ihr Erlerntes auf Papier zu bringen.“
Zwei Millionen Menschen vom Hungertod bedroht
Darüber hinaus verschärft der Klimawandel die Situation der notleidenden Bevölkerung zunehmend. Viele Brunnen sind leer. Die extreme Hitze ließ Flüsse und Gewässer austrocken. Wasser für die Landwirtschaft fehlt an allen Ecken und Ende. „Regnet es einmal, dann ist der Regen so stark, dass die Ernte zerstört wird“, so Wedan. „Dazu kommt auch noch die Abholzung der Wälder, um Feuerholz zum Kochen zu haben. Gas bzw. Treibstoff sind nämlich nicht leistbar. Die Inflation treibt die Preise extrem in die Höhe.“ Als Beispiel nennt Wedan den Preis von einem Liter Benzin: Im Dezember kostete dieser noch einen Euro. Bei seinem Besuch im April war er bereits auf drei Euro hinaufgeschnellt. „Holz ist für die Bevölkerung in Tigray somit die einzig leistbare Möglichkeit. Die Abholzung der Wälder hat aber wiederum zur Folge, dass starke Regenfälle zunehmend Murenabgänge auslösen, die die fruchtbaren Böden zerstören.“ Nach Angaben der nach dem Krieg eingesetzten Interims-Regionalverwaltung (IRA) von Tigray sind rund zwei Millionen Menschen in Tigray vom Hungertod bedroht, weitere 5,2 Millionen benötigen Nahrungsmittelhilfe.
Jugend Eine Welt-Projektpartner vor Ort
Die Salesianer Don Boscos, langjährige Projektpartner von Jugend Eine Welt in der Tigray-Region, sind nicht nur in den größeren Städten, sondern auch im ländlichen Raum, wo die Lage immer dramatischer wird, vor Ort. Laut UN-Angaben sind mehr als 13 Prozent aller Kinder unter fünf Jahren in Tigray unterernährt – genauso wie rund die Hälfte aller schwangeren und stillenden Frauen. „Unsere Projektpartner vor Ort versorgen stillende Mütter und Kinder mit den notwendigen Vitaminen, kochen täglich Suppe. Ohne diese Hilfe würden die Kinder nicht aufwachsen können. Über Brunnen wird Trinkwasser ausgegeben. Gebackenes Brot wird in die Flüchtlings-Camps gebracht und zur Verteilung an die hungernden Menschen übergeben“, erzählt der Globale Nothilfekoordinator der österreichischen Entwicklungsorganisation. „Die medizinische Versorgung in der Tigray-Region ist gleich Null. Medikamente müssen aus der Hauptstadt Addis Abeba in den 1.000 Kilometer entfernten Norden gebracht werden. Das ist natürlich extrem teuer und daher auch für die breite Masse nicht leistbar“, so Wedan weiter.
Schnelle und nachhaltige Hilfe nötig
Die Planungen von Jugend Eine Welt, schnelle und nachhaltige Hilfe für die notleidende Bevölkerung in Tigray bereitzustellen, laufen daher seit der Rückkehr Wedans auf Hochtouren. „Wir sprechen hier von Nothilfe-Projekten zur Nahrungsmittel- und Wasserversorgung, aber auch von nachhaltiger, auf einen längeren Zeitraum ausgelegter Hilfe in den Bereichen Trauma-Bewältigung und Schulbildung. Die notleidenden Menschen in Tigray sind auf fremde Hilfe angewiesen. Bitte lassen Sie sie nicht im Stich“, bittet Reinhard Heiserer, Geschäftsführer von Jugend Eine Welt, um Spenden.
Bitte helfen Sie den notleidenden Menschen in Tigray mit Ihrer Spende!
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