1.000 Tage. So lange dauert der Krieg in der Ukraine bereits an.
Am Morgen des 24. Februar 2022 marschierten russische Truppen in das Land ein und stießen auf den heftigen Widerstand der ukrainischen Streitkräfte. Die Folgen dieser kriegerischen Auseinandersetzung waren für die 37 Millionen in der Ukraine lebenden Menschen schlimm – und sind es immer noch. Der dritte harte Kriegswinter steht bevor, die Infrastruktur zur Versorgung der Bevölkerung mit überlebensnotwendigen Gütern wie Strom oder Wasser ist schwer beeinträchtigt, teils völlig zerstört. Ohne internationale Hilfe wird das Leben für viele der Einwohner kaum mehr zu bewältigen sein, wie ein Lokalaugenschein des Nothilfekoordinators der österreichischen Hilfsorganisation Jugend Eine Welt ergab.
„Selbst hier in Lviv im Westen, wo sich das Kriegsgeschehen nicht jeden Tag augenscheinlich mit Raketenangriffen bemerkbar macht, werden sich die Menschen warm anziehen müssen“, beschreibt Koordinator Wolfgang Wedan die fragile Situation der Energieversorgung in der westukrainischen Metropole, der mit 700.000 Einwohnern (Stand vor dem Krieg, ohne Binnenflüchtlinge) siebentgrößten Stadt des Landes. Hierher ist Wedan gemeinsam mit Jugend Eine Welt-Geschäftsführer Reinhard Heiserer vor wenigen Tagen gekommen, um sich mit den Projektpartnern, den Salesianern Don Bosco, über weitere Hilfsmaßnahmen zu besprechen. Seit Beginn des Krieges leistet Jugend Eine Welt mit Partnern aus dem Don Bosco-Netzwerk Nothilfe für Menschen in der Ukraine sowie für die vielen in Nachbarländer geflüchteten Frauen und Kinder.
Padre mit Drohne
Wedan und Heiserer überschritten die ukrainische Grenze vom polnischen Przemysl aus zu Fuß („das geht schnell, sonst wartet man ewig“) und wurden dann von Padre Hrihoryi, SDB, mit dem Auto nach Lviv gefahren. Ein entspannter „Job“, wie der auf Heimaturlaub befindliche Padre seinen Fahrgästen lächelnd erklärte. Als einer von zwei salesianischen Militärkaplanen ist er sonst an der Front im Donbass tätig: gekleidet in Tarnuniform mit weißem Kreuz auf Rücken und Brust, pilotiert Padre Hrihoryi dort eine Drohne, um verletzte Soldaten im Kampfgebiet aufzuspüren, ihnen zur Hilfe zu eilen und Trost zu spenden. Eine gefährliche Aufgabe.
Flüchtlinge knüpfen Tarnnetze
Keine Frontarbeit, sondern die Versorgung der großen Flüchtlingssiedlung im Stadtteil Mariapolis erledigen hingegen Padre Hrihoryis Kollegen in Lviv. In den dort aufgestellten Containern leben zur Zeit rund 1.000 Binnenflüchtlinge, überwiegend Frauen, etwa 250 Kinder sowie alte Menschen mit Behinderungen. Sie alle sind vor den Kriegsgräueln aus ihrem Heimatort geflohen und erhalten hier neben Unterkunft und Verpflegung eine wichtige psychosoziale Betreuung. Wedan: „Viele der Frauen sind aufgrund ihrer Erlebnisse und weil ihre Männer im Krieg zurück bleiben mussten, stark traumatisiert.“
Die Soldaten an der Front werden im Lager auf besondere Weise unterstützt: mehrere Frauen knüpfen tagtäglich militärische Tarnnetze. „Jetzt werden weiße Netze für den Winter produziert“, so Wedan.
Alltäglicher Krieg
Der Krieg ist für die Menschen in der Stadt und der Region um Lviv mittlerweile eine Alltäglichkeit. „Die meisten Leute flüchten nur noch bei unmittelbar bevorstehenden Raketenangriffen in die Bunker“, konnte Wedan beobachten. Anders als etwa in der Hauptstadt Kiew oder der südukrainischen Metropole Odessa gab es in Lviv den letzten schweren Bombenangriff, der Todesopfer forderte, im September. Aber die Energie-Infrastruktur ist hier ebenso schwer in Mitleidenschaft gezogen, Stromausfälle gehören zur Tagesordnung. Was in der jetzigen Heizsaison zu Problemen führen wird. Noch dazu, wo die Preise für Treibstoff stark gestiegen sind. „Wie wir es schon gemacht haben, werden wir wohl weitere Stromgeneratoren und Powerstations herbeischaffen müssen“, sagt Wedan.
Prothesen für Kriegsversehrte
Eine wichtige, von Jugend Eine Welt unterstützte Einrichtung in Lviv wurde bisher von Angriffen glücklicherweise verschont: das „Unbroken“-Spital, das nationale Rehabilitatsionszentrum, in dem modernste Körperprothesen hergestellt und angepasst werden. „Praktisch alle der etwa 1500 derzeit stationär aufgenommenen Patienten sind Kriegsversehrte, die ein Körperteil wie Arm oder Bein verloren haben, Soldaten und Zivilisten, darunter einige Kinder“, berichtet Reinhard Heiserer. Eine mit Hilfe von Jugend Eine Welt angeschaffte wichtige medizinische Apparatur, die Ärzten computergesteuerte Operationen ermöglicht, konnte jüngst in Betrieb genommen werden.
Ein spezielles „Traumaheeling“, für mit Prothesen versehene Kriegsverletzte, bieten wiederum die Don Bosco Partner an: der erste ukrainische Versehrten-Fußballverein Pokrova – „for Amputee Football“ – spielt auf den Sportplätzen im Don Bosco-Zentrum. „Wir trainieren zur Zeit etwa 25 Männer im Alter zwischen 20 und 30 Jahren, das Fußballspiel ist für sie ein therapeutisches Mittel, um zu lernen, mit ihrer völlig neuen Lebenssituation umgehen zu können und neuen Lebensmut zu tanken“, sagt Pater Mykhaylo Chaban SDB.
Weitere Hilfe zugesagt
„Wir stellen die Arbeit auch nach 1.000 Kriegstagen nicht ein, unsere Hilfe für die Ukraine dauert an“, versicherten Wedan und Heiserer den Projektpartner am Ende ihres Besuches. Letzterer richtete zugleich einen Appell an seine Landsleute im nur 600 Kilometer entfernten Österreich: „Wir alle wissen nicht, ob, wie und vor allem wann dieser Krieg beendet werden kann - bitte helfen auch Sie mit ihrer Spende weiter mit.“
Jugend Eine Welt-Spendenkonto: AT66 3600 0000 0002 4000 | Onlinespenden unter www.jugendeinewelt.at/spenden