Der Libanon ist seit Monaten ein geteiltes Land: während der Süden sich mehr oder weniger im Kriegszustand befindet, versuchen die Menschen im Rest des Landes die Sorge vor der völligen Eskalation der Auseinandersetzung zwischen Israel und der proiranischen Hisbollah-Miliz – eine Folge des Gaza-Krieges – auszublenden. Was angesichts der nun erfolgten militärischen Reaktion Israels auf den mutmaßlichen Hisbollah-Raketenangriff auf die Golan-Höhen am vergangenen Wochenende wohl immer schwieriger wird.
„Der Libanon ist auch ohne die Gefahr eines neuen großen Krieges für viele internationale Beobachter schon längst ein Failed State“, sagt Reinhard Heiserer, Geschäftsführer der österreichischen Hilfsorganisation Jugend Eine Welt. Für Heiserer ist deshalb klar: „Die Menschen im Libanon leiden so oder so, wir unterstützen deshalb unsere Projektpartnerinnen vor Ort weiter.“
Anlässlich des vierten Jahrestages der riesigen Explosion im Hafen Beiruts kommenden Sonntag, dem 4. August, hat Don Bosco Schwester Lina Abou Naoum einen aktuellen Bericht über die Lebenssituation der Menschen im Land übermittelt. Sr. Lina ist die Direktorin der Don Bosco-Einrichtung in Kahalé, einem Bergdorf im Distrikt Aley, rund 13 km von Beirut entfernt, die Jugend Eine Welt seit langem unterstützt.
Dysfunktionaler Staat
Bereits seit 2019 leidet der Libanon unter einer der schwersten Wirtschafts- und Finanzkrisen aller Zeiten, schreibt Sr. Lina. Mit verheerenden Folgen für den Staat – so wie es der der Libanon-Experte Christian Thuselt in einem Interview für das Redaktionsnetzwerk Deutschland jüngst beschrieben hat: „Der Libanon hat keine funktionierende Staatlichkeit mehr, er ist eigentlich ein Failed State, es gibt keinen Präsidenten, die Regierung steht auf Abruf, große Teile des öffentlichen Dienstes werden kaum entlohnt, das Land ist bankrott, die Armee, die Polizei, die Justiz funktionieren nicht.“ Ein „dysfunktionaler Staat“ also.
Diese Entwicklung habe schon lange vor der Explosion-Katastrophe in Beirut 2020 – deren genaue Ursache nach wie vor ungeklärt ist – begonnen. Das libanesische Pfund verlor damit aber fast seinen gesamten Wert, Ersparnisse der Bevölkerung lösten sich in Luft auf, die Inflation raste davon, Arbeitseinkommen schmolzen dahin, die Preise lebensnotwendiger Dinge wie Lebensmittel wurden vielen Menschen unerschwinglich. Geschätzt 80 Prozent der Bevölkerung, so Sr. Lina, leben seither unterhalb der Armutsgrenze. Die Regierung schaffe es aufgrund mangelnder Ressourcen nicht, grundlegende Dienstleistungen wie Strom oder eine Gesundheitsversorgung dauerhaft bereitzustellen: „Die Hafenexplosion hat alles verschlimmert, die Zerstörung der Getreidesilos hat etwa die Möglichkeiten der Lagerung von Lebensmitteln beeinträchtigt, was die Preise nach oben trieb.“
Eingeschränkter Betrieb
Die Don Bosco Schwestern in Kahalé bieten jungen Menschen Bildung und Unterstützung für ihren beruflichen Werdegang. Doch die Schule ist aufgrund der Wirtschaftskrise seit 2020 geschlossen. „Wir haben unsere Dienste so gut es geht an die Krisensituation angepasst“, schreibt Sr. Lina. Es gibt noch individuelle Unterstützung für Kinder mit Lernschwierigkeiten, an fünf Nachmittagen in der Woche stehen 52 Mädchen und Buben zehn Lehrkräften drei Stunden lang zur Verfügung. „Die Kosten dafür können wir Dank der Hilfe von Jugend Eine Welt zum großen Teil abdecken.“
Die Schwestern bieten in ihren Gebäuden mietfreie Büroräume an: derzeit einem Zahnarzt, zwei jungen Psychotherapeuten und zwei Physiotherapeuten, einem Fitnesstrainer und einem Seifenhersteller. Eine Familie kann den Garten für ihren Lebensunterhalt bewirtschaften. An einem Tag in der Wochen werden etwa 160 Mahlzeiten für verarmte Familien zubereitet, einen zweiten Tag übernimmt eine lokale Hilfsgemeinschaft. Und speziell an allein lebende, kranke Senioren werden Medikamente verteilt. „Mit diesen Bemühungen können wir das Leben vieler Menschen in und um Kahalé wenigstens etwas erleichtern“, schließt Sr. Lina.
Jugend Eine Welt-Spendenkonto: AT66 3600 0000 0002 4000 | Onlinespenden unter www.jugendeinewelt.at/spenden