Seit Jahren arbeitet Jugend Eine Welt immer wieder ausgezeichnet mit der Organisation „Misiones Salesianas“ in Spanien zusammen. 2018 war deren Mitarbeiter Alberto López Herrero in Wien zu Gast, gemeinsam mit unserem langjährigen Projektpartner Pater Jorge Crisafulli aus Sierra Leone. Anlass war die von Jugend Eine Welt organisierte Österreich-Premiere des Dokumentarfilmes „LOVE“ (Regie: Raúl de la Fuente) über ehemalige Kinderprostituierte in Sierra Leone und wie sie im Kinderschutzzentrum Don Bosco Fambul Hilfe und Schutz finden. Davor war Alberto selbst wiederholt in Sierra Leone gewesen und hatte die jungen Protagonistinnen während der Dreharbeiten persönlich kennengelernt.
Nun übersandte er uns eine überaus traurige Botschaft: Augusta, eines der Mädchen, die im Film vorkommen, ist Anfang Juni verstorben. Im Anschluss finden Sie den Nachruf auf Augusta, den Alberto López Herrero geschrieben hat. Wir alle bei Jugend Eine Welt trauern um sie - gemeinsam mit Alberto, Pater Jorge Crisafulli, dem Team von Don Bosco Fambul, den Mädchen des Hilfsprojektes für Kinderprostituierte, das Jugend Eine Welt von Anfang an unterstützt hat, und allen, die diese tapfere junge Frau gekannt haben.
Wir werden dich niemals vergessen!
„Augusta Ngombu wurde nur 23 Jahre alt. Doch trotz ihres kurzen Lebens schaffte sie es, ihren größten Traum wahr zu machen. Schon in der Kindheit hatte sie ihre Eltern verloren und wurde von einem Verwandten ausgebeutet und misshandelt. Sie lief von Zuhause fort und lebte auf der Straße, wo sie ihren Körper verkaufen musste, um etwas zum Essen zu haben. Die Salesianer retteten ihr Leben, bezahlten ihre Ausbildung und es gelang ihr, ein eigenes kleines Restaurant zu eröffnen. Am Sonntag, den 7. Juni, starb Augusta an Aids (HIV).
Indirekt starb Augusta am Coronavirus, denn sie hatte so große Angst, sich im Krankenhaus mit dem Virus anzustecken, dass sie aufhörte, die antiretroviralen Medikamente gegen ihre Krankheit einzunehmen. In den vergangenen Monaten verschlechterte sich ihr Gesundheitszustand immer mehr, bis sie schließlich starb. Doch niemals ist ihr Lächeln verlöscht. Hunderte Nachrichten und Fotografien in den sozialen Netzwerken erinnern an sie und danken ihr für ihren Einsatz im Programm von Don Bosco Fambul, das der Rettung von Kinderprostituierten gewidmet ist.
Mit 12 wurde sie zum Waisenkind. Doch wirklich hart wurde ihr Leben erst, als ein Verwandter begann, sich um sie zu „kümmern“: Er zwang Augusta, auf der Straße Lebensmittel zu verkaufen und wenn sie nicht genug verdiente, schlug er sie. Sie beschloss davonzulaufen und auf sich allein gestellt auf der Straße zu leben, wo ihr nichts anderes übrigblieb, als ihren Körper zu verkaufen, um Nahrungsmittel kaufen zu können. Sie wurde ausgebeutet und missbraucht, verprügelt, ausgeraubt, mit Krankheiten angesteckt.
Im Alter von 16 Jahren änderte sich ihr Leben: Ein Mitarbeiter von Don Bosco Fambul nahm Kontakt mit ihr auf und lud sie ein, das Leben als ausgebeutetes Straßenmädchen hinter sich zu lassen. Sie begann wieder mit der Schule, schloss die Sekundarstufe ab, machte eine Ausbildung zur Köchin und mehrere Praktika in einem Restaurant. „Sie wollte ihre Ausbildung immer selbst bezahlen“, erinnert sich Salesianerpater Jorge Crisafulli, Direktor des Kinderschutzzentrums Don Bosco Fambul.
Als das Hilfsprogramm für Kinderprostituierte 2016 offiziell gestartet wurde, wirkte Augusta schon als leuchtendes Vorbild für all jene, die neu aufgenommen wurden. Sie begann damit, den Mädchen, die das gleiche Schicksal erlitten hatten wie einst sie selbst, Kochunterricht zu geben und nahm auch an den Dreharbeiten des Dokumentarfilms LOVE teil. Sie sagt darin: „Ich fühle mich glücklich. Jetzt lacht niemand mehr über mich und nützt mich aus. Ich mache meine Arbeit, ich verdiene damit mein Geld und das, was ich tue, macht mir Freude.“
Augusta war immer sehr geschickt in der Küche und wurde schließlich von einem Restaurant angestellt, wo sie Kochpraktika gemacht hatte. 2018 versuchten „Misiones Salesianas“ ein Visum für sie zu bekommen, damit sie nach Genf zur 38. Sitzung des Menschenrechtsrates bei den Vereinten Nationen fahren konnte, doch leider klappte es aus zeitlichen Gründen nicht. Die „First Lady“ Sierra Leones nahm teil und Augusta schickte eine Audio-Botschaft.
Im Februar 2019 erlebte Augusta, wie sie von den Behörden diskriminiert wurde, nur weil sie eine junge, arme Frau war – man verweigerte ihr ein Visum, um nach Europa zu fahren und dort an mehreren Veranstaltungen von europäischen Institutionen teilzunehmen. Der Grund für diese bürokratische Verweigerung war die Befürchtung, dass sie - obwohl sie über offizielle Einladungsbriefe verfügte -, vielleicht vorhatte, als illegale Migrantin in Europa zu bleiben. Doch schließlich erhielt sie ihr Visum doch, nachdem die spanische Botschaft in Abidjan sich dafür eingesetzt hatte.
Mithilfe von Misiones Salesianas und Don Bosco International (DBI) nahm sie zwei Wochen lang an verschiedenen Treffen in Europa teil. Alle Menschen, die ihren Berichten zuhörten, wurden von ihren Worten tief bewegt. In Brüssel empfing sie der damalige Präsident des Europäischen Parlamentes, Antonio Tajani. Gemeinsam mit dem jetzigen Kardinal Michael Czerny nahm sie an einem Treffen der Kommission der Bischofskonferenzen der EU (COMECE) teil zum Thema Menschenhandel.
In Malta nahm Augusta nicht nur an einer Veranstaltung mit dem Titel Lost in Migration teil, bei der die Dokumentation LOVE gezeigt wurde, sondern auch an einem Runden Tisch zum Thema „Schutz von Minderjährigen auf dem Weg der Migration“. Sie wurde im Palast in La Valeta von der damaligen Präsidentin Marie-Louise Coleiro Pricaff empfangen, die ihr ihre Privatnummer gab und zu ihr sagte: „Von nun an habe ich mit dir eine neue Tochter in Sierra Leone.“
Niemand in Sierra Leone hat so viele europäische Institutionen besucht wie Augusta
In Rom nahm sie dank des persönlichen Interesses der Vatican News-Journalistin Patricia Ynestroza an einer Audienz mit Papst Franziskus am Petersplatz teil. Das Mädchen aus Sierra Leone sagte darüber: „Es war der glücklichste Tag meines Lebens!“ Sie überbrachte dem Papst die Lebensgeschichten der Mädchen von Don Bosco Fambul, die aus der Prostitution aussteigen wollten und bat ihn um den Segen für sie alle. Als Papst Franziskus, der ihr ganz nah kam, hörte, dass sie Köchin sei, fragte er sie, ob sie gut kochen könne.
In Turin hatte Augusta die Möglichkeit, den Generaloberen der Salesianer Don Boscos kennenzulernen – Don Ángel Fernández Artime. Er schenkte ihr eine kleine Statue von Don Bosco, die sie fortan immer begleitete. In der Basilica María Auxiliadora beteten sie vor dem Grab der salesianischen Heiligen.
Die Dokumentation LOVE und die Botschaft, die Augusta darin gibt, haben das Leben vieler minderjähriger Mädchen in Sierra Leone verändert. Die Regierung des Landes hat begonnen, die Kinderprostituierten als die Opfer zu sehen, die sie sind und neue Gesetze beschlossen, die verhindern, dass sie von der Polizei eingesperrt werden.
Als Augusta nach Freetown zurückkehrte, konnte sie ihren Traum wahrmachen, ein eigenes kleines Restaurant zu eröffnen. An die Wände hängte sie Fotos von allen Persönlichkeiten, die sie in Europa kennengelernt hatte. „Der Tod hat sie fortgeholt, als es ihr besser ging als je zuvor“, so Pater Jorge Crisafulli, Direktor von Don Bosco Fambul, der sie immer begleitete. „Sie hat ihren Traum verwirklicht: Und sie hinterlässt uns eine sehr klare Botschaft: dass es im Leben immer eine zweite Chance gibt. Sie hat es geschafft und darum können andere Mädchen ihren Spuren folgen. Sie hinterlässt uns ein großes Erbe.“